PAGANINI CAPRICES, HELMUT ROHM
10 March, 2006
Schon immer dürften ambitionierte Instrumentalisten in musicis den Ehrgeiz gehabt haben, ihr Saiten-, Tasten-, Schlagwerk- oder Lippenspiel auch wirklich kultiviert zu beherrschen; auf dass die technische Seite des Musizierens vergessen werde und Musik in ihrer Idealität erblühe.
Überall auf der Welt. Nun wurde aber 1782 in Genua ein Musiker geboren, der mit seiner Geige die Regionen des Dämonischen durchmessen sollte, dessen Erscheinung und Musizieren – Heinrich Heine hat es unvergleichlich geschildert – ans Bizarre und Schauerliche, aber auch ans fremdartig Schöne, ans nachtigallengleich Entrückteste rührte. Die Zeitgenossen im Europa der frühen 19. Jahrhunderts waren hingerissen und schockiert zugleich von seinem Spiel. Geradezu paralysiert waren sie: ein Teufelsgeiger hatte so etwas wie die Möglichkeit einer Quadratur der Virtuosität aufgezeigt. Er hatte Grenzen ausgelotet; Grenzen seines Instruments, seiner eigenen Physis, der Aufnahmefähigkeit des Publikums und nicht zuletzt des sinnfälligen musikalischen Ausdrucks. Andere waren angesteckt, allen voran Franz Liszt, der Paganinis musikalisch durchaus substanzreiche Akrobatik kongenial auf die auf Möglichkeiten der Klaviertasten “verrückte”. Viele Geiger, vor allem aber auch andere Komponisten haben sich seither vom Hexenmeister inspirieren lassen: von Schumann über Brahms und Rachmaninow bis zu del Tredici oder Lutoslawski. Und immer wieder waren es bevorzugt die Variationen der Caprice Nr. 24 für Solovioline aus Paganinis 1820 veröffentlichtem op. 1, welche Phantasie und Spieltrieb herausforderten.
Mit dem Saxophonisten Raaf Hekkema hat sich nun auf würdige Weise ein weiterer Ausnahmemusiker eingereiht in die Phalanx der Grenzgänger des Virtuosentums. Im Verlaufe von über sechs Jahren hat er mit unerhörtem Klangsinn, mit Einfühlungsvermögen und kompositorischem Geschick all’ die atemberaubenden Akrobatenstücke der Capricen für sein Instrument bearbeitet und sie jetzt auch eingespielt. Für Freunde jenes speziellen, bald 200 Jahre währenden Wettspiels mit Paganini, aber nicht nur für sie, ist seine bei Dabringhaus und Grimm erschienene CD nicht weniger als ein Ereignis. Was nicht geht, geht nicht. Mit dem Saxophon lassen sich keine Terzen-Passagen oder keine Oktaven-Gänge spielen. Hekkema aber findet plausible und musikalisch überzeugende Lösungen. Mit Klangfarbenwechseln ahmt er Bariolagetechniken nach; in raffiniert geblasenen Multiphonics klingen Flageolett-Effekte an; unter Einsatz auch der Singstimme steigert sich mehrstimmiges Spiel zum geheimnisvollen Klangzauber und sein Zungenspiel am Blatt zeitigt differenzierte Pizzicati. Aber das Schönste: Hekkemas aberwitziges Spiel auf Sopran- und Altsaxophon reißt mit, ist voller Farbe, Glanz und Energie.